Dortmund. Der renommierte Autor Alwin Meyer besuchte vom 11. bis zum 15. Mai 2025 mehrere Schulen in Dortmund und Lünen, um Schülerinnen und Schülern Einblicke in sein jahrelanges Forschungsgebiet, die Kinder von Auschwitz, zu geben. Die Planungen und Organisation dieser Vortragsreihe sind den Anstrengungen des Geschichtslehrers Stefan Schneider von der Europaschule Dortmund zu verdanken. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Landesverband NRW, unterstützte die Europaschule als langjährige Partnerschule bei der Suche nach Schulen, die den Vortrag in ihren Räumlichkeiten anbieten wollen und bei der Einwerbung von finanziellen Mitteln. Diese wurden dankenswerterweise von der Geschwister-Gödde-Stiftung übernommen.
Herr Meyer begann seinen Vortrag vor rund 500 Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften in der Aula der Europaschule Dortmund damit, zu erklären, wie er überhaupt dazu kam, sich mit Kindern in Auschwitz zu beschäftigen. Dies führt er auf einen Besuch der Gedenkstätte Auschwitz im Alter von 21 Jahren zurück. Dort erzählte ihm ein Zeitzeuge, der das Lager als Erwachsener durchlebt hatte, von den Kindern und Babys, die dort ebenso inhaftiert waren. Dabei packte Herrn Meyer eine Wut, die ihn das Thema bis heute nicht mehr loslassen sollte.
750 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre überlebten das Vernichtungslager. Davon waren 220 Kinder nicht mal 14 Jahre alt. Von Säuglingen, die im Lager geboren wurden, überlebten lediglich 16 Babys.Diese inzwischen erwachsen gewordenen überlebenden Babys und Kinder suchte Herr Meyer in den letzten Jahrzehnten auf, um ihre Lebensgeschichte zu erfahren, ihnen eine Stimme zu geben.So erzählten ihm die Zwillingsbrüder Jiri und Zdenek Steiner, wie sie im Alter von 13 Jahren von Prag nach Auschwitz deportiert worden sind. Indem sie Bücher und Spielsachen zu Hause zurücklassen mussten, markiert diese Erinnerung den Tag, an dem ihre Kindheit endete.
Bei der Ankunft und während ihrer Zeit im Lager erlebten auch die Kinder immer wieder Selektionen. Dabei bestimmten SS-Ärzte, unter ihnen Joseph Mengele, wer leben durfte und wer in der Gaskammer ermordet werden sollte. So erinnerte sich die Tochter Hanna der Familie Markowicz, wie ihre Mutter bei der Selektion zur linken Seite musste, während sie selbst nach rechts gehen durfte. Sie rief zu ihrer Mutter hinüber, dass sie zu ihr, auf die rechte Seite, kommen sollte. SS-Arzt Mengele hörte das Mädchen und schlug die Mutter zu Boden. Hanna Markowicz verzieh sich nie, dass sie nicht zu ihrer Mutter hinübergelaufen ist.An den Zwillingsschwestern Vera und Olga Grossmann führte Mengele grausame Experimente mit äußerst schmerzhaften Injektionen zwecks Änderung ihrer Augenfarbe durch.
Die Eltern und Familienmitglieder der überlebenden Kinder waren zum Zeitpunkt der Befreiung am 27. Januar 1945 bereits ermordet oder in andere Lager verschleppt oder auf die sogenannten „Todesmärsche“ geschickt worden. Da ihr Schicksal den Überlebenden unbekannt war und viele der Kinder noch zu klein waren, um sich überhaupt an ihre Eltern erinnern zu können, nahmen Familien aus der Umgebung des Lagers Kinder bei sich auf und adoptierten sie. So waren viele Kinder zeit ihres Lebens, teilweise sogar deren Kinder, auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern, bzw. Großeltern.
„Der Schmerz ist immer da“, gab Alwin Meyer die Worte eines der überlebenden Kinder wieder. Sie sollten während ihres Lebens nach Auschwitz durch ihre Erfahrungen geprägt bleiben. So verstand der Junge Kola, der bei der Befreiung zwei Jahre alt war, nicht, dass Menschen auf natürlichem Wege sterben. Für ihn konnten Menschen nur getötet, erschlagen oder ermordet werden. Er musste erst lernen, dass es einen natürlichen Tod gibt. Auch Dr. Eva Umlauf war bei der Befreiung zwei Jahre alt. Ihre Erlebnisse holten sie während der Schwangerschaft mit ihrem dritten Sohn ein. Sie hatte regelmäßig das Bild einer mit Säuglingen gefüllten Gaskammer vor Augen.
Diese Geschichten und noch viele mehr deckte Alwin Meyer zeit seines Lebens auf, indem er in Quellen recherchierte und die Überlebenden aufsuchte und interviewte. Auf diese Weise gab er den Kindern von Auschwitz eine Stimme.Die Schülerinnen und Schüler bekamen ein Kapitel des Holocausts vermittelt, das normalerweise nicht im Lehrplan steht. Eine neue Perspektive hat sich ihnen eröffnet.
Text und Fotos: Vanessa Schmolke