Veranstaltungen aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen
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Inklusive Erinnerungskultur erfolgreich gestalten

Marsberger Kooperationsprojekt mit dem Volksbund für den deutschen Lehrkräftepreis nominiert

Auf dem Bild sieht man sechs Personen - drei Frauen, drei Männer - rechts und links neben einem Roll-up stehen und in die Kamera lächeln. Auf dem Roll-up steht: "Wenn Lehrkräfte über sich hinaus wachsen".

Freuen sich über die Nominierung zum deutschen Lehrkräftepreis (v.l. hinten): Monika Bannenberg, Stefan Heithorst, Fabian von der Osten, Roman Rennert, (vorne v.l.): Katrin Noga und Nicole Köchling-Dicke Julia Hollwedel (LWL-Klinikum Marsberg)


Marsberg. Bereits seit ein paar Jahren steht die Bildungsreferentin des Volksbundes im Bezirksverband Arnsberg, Vanessa Schmolke, in einem engen Austausch mit der LWL-Klinik in Marsberg. Ausgehend vom Anstaltsfriedhof und den dortigen Kriegsgräbern haben sich neben Führungen zum Monat des Kriegsgrabes im September auch Projekte mit Schulen vor Ort ergeben. Ein Projekte wurde zuletzt sogar für den deutschen Lehrkräftepreis nominiert. Lesen Sie dazu den folgenden Artikel von Julia Hollwedel vom LWL:

„Das Projekt ‘Echo der Vergangenheit: Mit einer inklusiven Erinnerungskultur Demokratie und Zivilcourage stärken!’ der Klinik-Schule am Bomberg des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und der Sekundarschule Marsberg wurde für den ‘Deutschen Lehrkräftepreis - Unterricht innovativ’ in der Kategorie fächerübergreifende Projekte und neuartige Formen des gemeinsamen Lernens nominiert. Bei der Preisverleihung in Berlin gab es zwar keinen Preis, aber dafür ganz viel Lob und Wertschätzung.

Monika Bannenberg, Lehrerin an der Sekundarschule, und Nicole Köchling-Dicke, Schulleiterin der LWL-Schule, sagen: ‘Allein die Nominierung ist ein starkes Zeichen und eine schöne Form der Anerkennung des Projekts. Unser Ziel ist es, nicht nur unsere Geschichte vor Ort erlebbar zu machen, sondern auch auf den Aspekt der Zivilcourage einzugehen. Jeder Einzelne von uns kann etwas bewirken.’

In Zusammenarbeit mit dem LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge organisieren Lehrkräfte der beiden Schulen für die Schülerinnen und Schüler der Marsberger Sekundarschule jährlich Projekttage.

In Workshops, die im Rotationsprinzip durchlaufen werden, setzen sich die Schüler:innen intensiv mit den ‘Euthanasie’-Verbrechen im Nationalsozialismus und dem historischen Friedhof der Marsberger LWL-Einrichtungen an der Bredelarer Straße auseinander. Die Workshops verbinden Theorie und Praxis. Lehrerin Monika Bannenberg gibt eine Einführung in das Thema ‘Euthanasie’ im Nationalsozialismus mit Schwerpunkt auf der Aktion T4. Beim Quellenstudium mit Roman Rennert lesen, sammeln und sichten die Schüler:innen historische Quellen. Mit Stefan Heithorst erstellen die Jugendlichen einen Podcast. Mit Fabian von der Osten und Katrin Noga geht es auf den Friedhof, um die Grabsteine mit Wurzelbürste und Wasser von Moos zu befreien. Beim Saubermachen bringen Namen sowie Geburts- und Sterbedaten insbesondere der in jungen Jahren Verstorbenen die Schüler:innen ins Nachdenken.

Mit Acrylstiften gestalten die Jugendlichen Gedenksteine, die später als kleine Kunstwerke an den Gräbern niedergelegt werden. Die Schüler:innen entscheiden sich für verschiedene Motive: Bunte Blumen, poetische Zeilen, Regenbögen oder Sonnen. Vanessa Schmolke, Bildungsreferentin beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, hat im LWL-Archivamt für Westfalen in Münster über 50 Patientenakten gesichtet. Sie stellt stellvertretend für so viele einzelne Schicksale einige Biografien vor. Zum Beispiel die Lebensgeschichte von Maria M.B., deren Grabstein auf dem Marsberger Friedhof unweit des Gedenksteins zu finden ist. Als Abschluss der Projekttage lassen alle Beteiligten biologisch abbaubare Luftballons in den Himmel steigen. Der Wind trägt die Ballons über das Gebäude des damaligen St. Johannes-Stifts, heute Sitz der Verwaltung des Wohnverbundes, davon.

‘Die Resonanz unserer Schülerinnen und Schüler ist sehr positiv’, so Monika Bannenberg. ‘Das Rotationsprinzip und die verschiedenen Workshops sind eine andere Form von Unterricht und politischer Bildung, die ausgezeichnet im Gedächtnis bleibt. Die Schüler erleben Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes zum Anfassen.’

Andrea Engelmann, Leiterin des LWL-Wohnverbundes Marsberg, sagt: ‘Geschichte ist auch dazu da, um aus der Vergangenheit zu lernen. In unruhigen Zeiten ist das wichtiger denn je. Wir freuen uns, über das Geschichtsinteresse der nächsten Generation, die auf dem >Gesundheitscampus Bredelarer Straße< eindrucksvolle Projekttage erleben und somit dazu beitragen, dass unsere Geschichte nicht verloren geht. Solche Erfahrungen prägen und stärken unsere Gesellschaft.’

Marsbergs Bürgermeister Thomas Schröder schließt sich an: ‘Der LWL und Marsberg sind seit über 200 Jahren miteinander verwoben. Die Geschichte des Standortes ist auch ein Teil der Stadtgeschichte. Besonders freue ich mich über die Kooperation der Lehrkräfte beider Schulen. Die Nominierung für den Deutschen Lehrkräftepreis ist eine schöne Motivation. Und noch etwas verbindet Marsberg und den LWL: Gemeinschaft und Zusammenhalt.’

Geschichtlicher Hintergrund

Im November 1940 entstand im Rahmen des sogenannten ‘Euthanasieprogramms’ im St. Johannes-Stift, Vorgänger des LWL-Klinikums Marsberg, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie des LWL-Wohnverbundes Marsberg, in Marsberg eine ‘Kinderfachabteilung’. Auf Geheiß des ‘Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden’ wurden dort in den folgenden Monaten etwa 50 Kinder und Jugendliche durch die überdosierte Gabe von Medikamenten gezielt betäubt und getötet. Zu diesem Zweck wurde regimetreues Pflegepersonal von Berlin nach Marsberg verlegt. Bereits 1941 wurde die Kinderfachabteilung offiziell geschlossen. Tatsächlich wurde die Abteilung in die Heil- und Pflegeanstalt Dortmund-Aplerbeck verlegt - offenbar wegen Unruhe in der Marsberger Bevölkerung.“

Foto und Text: Julia Hollwedel (LWL-Klinikum Marsberg)